Frischer Wind für Tabakprävention, Jugend- und Nichtraucherschutz
Fachforum der LS-LSA am 18.10.2021 skizzierte konkrete Arbeitsschritte
Ministerin Grimm-Benne will die neuen Landtagsabgeordneten für Nichtraucherschutz gewinnen
Auf Einladung der Landesstelle für Suchtfragen (LS-LSA) loteten fünfzig Akteure aus Kommunen und Land im Oktober die Chancen und Herausforderungen zur Verbesserung von Nichtraucherschutz und Prävention in Sachsen-Anhalt aus. Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne in ihrem Grußwort: „Das Fachforum ist ein wichtiger Meilenstein bei der Umsetzung des Nichtraucherschutz- und Präventionskonzeptes der LS-LSA.“ Mit Blick auf bevorstehende Aufgaben und die Planung der nächsten Schritte betonte die Ministerin: „Auch die Abgeordneten des neuen Landestages sollen für die die Ziele und Inhalte des Konzepts und dessen Umsetzung gewonnen werden.“
Grußwort von Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne:
Trotz positiver Entwicklung bei Nichtraucherquoten steigen die Folgekosten des Rauchens und belasten das deutsche Sozialversicherungssystem
Egal ob in der Kranken-, Renten-, Pflege oder Arbeitslosenversicherung, PD Dr. Tobias Effertz, Gesundheitsökonomen an der Universität Hamburg, rechnete im Fachforum vor, dass alle Sozialversicherungszweige davon profitieren würden, wenn in Präventions- und Tabakentwöhnungsmaßnahmen investiert würde, um die Tabakepidemie endlich in den Griff zu bekommen. Rauchen verursacht nämlich jährlich soziale Kosten in Höhe von 97 Milliarden Euro, was die Tabaksteuereinnahmen um das fast Siebenfache übersteigt (14 Milliarden). Die drei ökonomisch-effektivsten Präventionsstrategien lieferte er auch gleich mit: Erhöhung der Tabaksteuer, Verkaufsbeschränkungen und umfassende Werbeverbote. Dazu müsse man sich politisch aber deutlicher als bisher gegen die Lobbyarbeit durch die Tabakindustrie stellen.
In Sachsen-Anhalt wächst fast jedes zweite Kind in einem Raucherhaushalt auf
„Der Tabakkonsum ist in Sachsen-Anhalt in fast allen Altersgruppen immer noch höher als im Bundesdurchschnitt, auch wenn bereits ein Rückgang zu verzeichnen ist“, berichtete Dr. Goetz Wahl vom Landesamt für Verbraucherschutz in seinem Konsum-Update. „Außerdem leben in Sachsen-Anhalt immer noch rund 40 Prozent der Kinder in einem Raucherhaushalt. Das erhöht bei Kindern das Risiko für bestimmte Gesundheits- und Entwicklungsdefizite“, so Wahl weiter. Prof. Dr. Sabina Ulbricht, Präventionsforscherin der Universitätsmedizin Greifswald, stellte in ihrem Beitrag heraus, dass das systematische Ansprechen des Tabakkonsums und Beratungsangebote durch Gynäkolog:innen und auch in Schwangerschaftsberatungsstellen wirksam und hilfreich sind. Schwangere sind aufgeschlossen gegenüber einer Kurzberatung und eher irritiert, wenn das Rauchen gar nicht thematisiert wird“.
Wie der Gesprächseinstieg gut gelingen kann, wird eine landesweite Fortbildung der LS- LSA im kommenden Jahr vermitteln.
In der Tabakprävention kann Sachsen-Anhalt als Vorbild voran gehen – die Strukturen sind vorhanden
Zum Gestaltungsbedarf in der Präventionspolitik und sprach Prof. Dr. Thomas Kliche, Politikpsychologe an der Hochschule Magdeburg-Stendal und machte klar: „In der Tabak bezogenen Gesundheits- und Rechtspolitik hinkt Deutschland über 20 Jahre hinterher und ist europaweit Schlusslicht“ (vgl. Tabakkontrollskala 2019).
Den Aktivitäten in Sachsen-Anhalt bescheinigte er: „Das Land ist mit dem vorgelegten Konzept und einer seit Jahren vorangetriebenen Präventionspolitik im Bundesvergleich sehr aktiv und fortgeschritten. Das liegt einerseits sicher am relativ hohen Problemdruck, zeigt aber auch, dass man begriffen hat: Föderalismus bedeutet nicht, auf die Langsamsten zu warten, während die Allgemeinheit die Folgekosten des Rauchens trägt. Das Konzept der LS-LSA gibt dazu gute Handlungsempfehlungen. Die Politik muss aber eines aufbringen: den Willen zur Gestaltung.“
Lesefassung des Grußwortes von Prof. Dr. Thomas Kliche (PDF)
Landespolitiker:innen sehen Novellierungsbedarf beim Nichtraucherschutzgesetz
Sachsen-Anhalts Nichtraucherschutzgesetz ist 13 Jahre alt und spiegelt den damaligen Stand. Neuere Rauchprodukte wie E-Zigaretten und Tabakerhitzer werden vom Gesetz bisher nicht erfasst, wohl aber längst im Jugendschutzgesetz. Im Rahmen der abschließenden Podiumsdiskussion stellten Landespolitiker:innen von CDU, SPD, B90/Die Grünen und FDP ihre Positionen heraus. Die LINKE positionierte sich vorab schriftlich. Einigkeit herrschte hier: Anerkennung der hohen Bedeutung des Themas, Würdigung des vorgelegten Gesamtkonzeptes und breite Zustimmung hinsichtlich der aufgeworfenen Handlungsbedarfe. Politische Initiativen zur Aktualisierung des Nichtraucherschutzgesetzes werden nun mit Spannung erwartet.
Gesetzliche Krankenkassen in Sachsen-Anhalt sehen Unterstützungsmöglichkeit durch Präventionsgesetz
„Das Rauchen ist in den Industrienationen das bedeutendste einzelne Gesundheitsrisiko und die führende Ursache vorzeitiger Sterblichkeit“ betonte auch Dr. Volker Schmeichel vom Verband der Ersatzkassen für das Landesforum Prävention. Durchschlagende Wirkung ist erwartbar, wenn sich viele Akteure in einem übergreifenden Handlungszusammenhang gegenseitig stärken und so gesundheitsschädliche Einstellungen, Normen und Werte gesellschaftlich verändern. Das Präventionsgesetz öffnet dafür Gestaltungsmöglichkeiten. Unterstützung durch die gesetzlichen Krankenkassen in Sachsen-Anhalt (GKV-Bündnis) ist z.B. im Rahmen einen kassenübergreifenden Projektes möglich. „Beratung und Unterstützung gibt es beim GKV-Programmbüro.“
Dilemma: Pflegekräfte sind Schlüsselpersonen der Tabakprävention – gleichzeitig ist die Rauchpause oft Rückzugsmöglichkeit aus dem Alltagsstress
Christa Rustler, Geschäftsführerin des Deutschen Netzes Rauchfreier Krankenhäuser & Gesundheitseinrichtungen (DNRfK) betonte: „Krankenhäuser und Rehabilitationskliniken erreichen einen hohen Anteil der Rauchenden schon bevor Folgeerkrankungen bestehen. Und: sie sind Ausbildungsorte für die meisten Gesundheitsberufe. Hoher Stress und rauchförderndes Umfeld führen zu ungesunden Entlastungsstrategien, denn die Rauchpause ist für viele eine kurze Rückzugsmöglichkeit. Mit dem Programm „astra-plus“ erlernen Auszubildende bereits während der Pflegeausbildung alternative Strategien der Stressbewältigung und erhalten Unterstützung beim eigenen Rauchstopp. So könnten auch in Sachsen-Anhalt die zukünftigen Pflegekräfte zu Botschafter:innen für Gesundheit werden.“
Erfolgreiche Tabakprävention braucht Aktive – in allen gesellschaftlichen Räumen
Tabakprävention ist in vielen Köpfen ein verstaubtes Thema, dabei ist es hochaktuell. Das wurde spätestens mit Ausbruch der Corona-Pandemie deutlich. Eine gute Präventionsstrategie braucht gemeinsames, vernetztes Vorgehen vieler Akteure in vielen Feldern, um Wirksamkeit im Zusammenspiel von individuellem Verhalten, gesellschaftlichen Werten und politischem Handeln hervorzubringen. Eine Dachkampagne kann positive Veränderung sichtbar machen und wird damit selbst zum Präventionsinstrument.
Erfolgreiche Aktivitäten im individual-präventiven Bereich dürfen nicht durch fehlende Verhältnisprävention (z.B. veraltetes Nichtraucherschutzgesetz, unzureichendes Werbeverbot, Rauchen in Filmen und Serien, Tabakwerbung im Kino) konterkariert werden.
Konzept der LS-LSA und Handlungsempfehlungen
Es bleibt viel zu tun.
In Sachsen-Anhalt ist wieder frischer Wind im Diskurs.
Hintergrundinformation
Auftrag | Erarbeitung eines Nichtraucherschutz- und Präventionskonzeptes für Sachsen-Anhalt gemäß Landtagsbeschluss Drs. 7/1239 |
Titel | Sachsen-Anhalt atmet auf – Nichtraucherschutz und Prävention verstärken |
Konzepterarbeitung | Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt (LS-LSA) |
Ergebnis | 24 Handlungsempfehlungen für das LSA, strukturiert entlang von 6 Bausteinen (Grundlage: WHO-Konzept MPOWER – effektive Maßnahmen zur Tabakkontrolle) |
Konzeptübergabe an den Landtag | durch Ministerin Petra Grimm-Benne im Dezember 2020 |
Konzept der LS-LSA als PDF-Download | www.ls-suchtfragen-lsa.de/sachsen-anhalt-atmet-auf-nichtraucherschutz-und-praevention-verstaerken/ |
Stand der Konzeptumsetzung | Planung der nächsten Schritte erfolgte im Rahmen eines landesweiten Fachforums am 18.10.2021 (zur Tagungsdokumentation) |
wichtige Akteure | Pratiker:innen und Entscheidungsträger:inen aus Gesundheit, Bildung, Prävention, Politik, Verwaltung (Kommune Land, z.T. Bund) |